Was wäre, wenn?

Manchmal sind Fragen fast ebenso aussagekräftig wie die möglichen Antworten. Heute fragt nämlich die Leiterin des Politik-Ressorts der Sächsischen Zeitung in Dresden, was davon zu halten ist, wenn Bürger zu gesellschaftlich relevanten Entscheidungen befragt werden.

Anlass dafür ist eine PR-Initiative des sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer ein Jahr vor der nächsten Landtagswahl im Herbst 2024. Dabei geht er sprichwörtlich und medienwirksam in die Offensive. Dies ist in mehrerlei Hinsicht überraschend, denn erstens wählt er ein Instrument, das gerade in der CDU eher argwöhnisch betrachtet wird, zweitens tritt er nicht gegen etwas, sondern für die Herbeiführung einer Entscheidung ein. Drittens muss er sich in der Angelegenheit selbst nicht inhaltlich positionieren, denn sein Engagement allein dürfte ihm bei vielen Sachsen Sympathiepunkte einbringen.

In der Sache geht es um die Errichtung einer Pulverfabrik, die das Rüstungsunternehmen Rheinmetall in naher Zukunft zu errichten plant. In Diskussion steht unter anderem ein ausgedientes Militärgelände am Flughafen Großenhain, einer Kleinstadt an der Landesgrenze zu Brandenburg nördlich von Dresden. Kretschmer schlägt vor, die ansässigen Bürger im Rahmen eines Bürgerentscheids zu befragen, ob sie die Rheinmetallansiedlung mit voraussichtlich 500-600 neuen Arbeitsplätzen befürworten. Der Ministerpräsident scheint – anders als die Journalistin – das eigene Risiko der Befragung für überschaubar zu halten, zumal er sich in der Ansiedlungsfrage selbst gar nicht persönlich positionieren muss.

Liegt es daran, dass Kretschmer sich in den letzten Monaten verbal wiederholt eher am sächsischen Bürgerwillen orientiert hat denn an Mehrheitsmeinungen im politischen Berlin oder seiner eigenen Partei? Oder liegt Binningers erkennbare Skepsis eher an ihrer grundlegenden Einstellung zum Bürgerwillen? So vermutet sie, dass diese Bürgerbefragung zwar positiv im Sinne der Großinvestition ausgehen könnte, sorgt sich aber offenbar um die Folgen weiterer Bürgerentscheide, wenn sie im historischen Rückblick fragt:

„1. Wenn die Deutschen zu einem bestimmten Zeitpunkt … hätten entscheiden dürfen, ob sie den Euro wirklich behalten wollen?

2. Und was würde wohl dabei herauskommen, wenn man an so manchen, derzeit regional besonders umkämpften Orten die Bürgerinnen und Bürger abstimmen ließe, ob ein dort geplanter Container-Standort für Flüchtlinge wirklich dort hinkommen soll oder doch nicht?“

Gern möchte ich Frau Binningers Fragen beantworten:

Laut einer repräsentativen Umfrage 1998 lehnten 58% der Bundesbürger die Euro-Einführung ab und benannten instinktiv Gründe wie sinkende Geldwertstabilität, fallendes Rentenniveau und Differenzen zwischen den Euro-Ländern als Nachteile der geplanten Gemeinschaftswährung. Trotzdem beschloss der Deutsche Bundestag am 23. April 1998 die Euro-Einführung.

Recht hatten die Bürger, nicht aber so sehr die Politiker, Akademiker und Bankenexperten! Europa und auch Deutschland stünden heute wirtschaftlich besser da, wenn das zinsverbilligte Geld im Süden Europas nicht zu reihenweise Fehl-Investitionen geführt hätte, wenn Deutschland an der traditionellen Währungsstrategie einer harten D-Mark festgehalten und auf Qualität statt Exportüberschüsse gesetzt hätte und wir Investitionen aus der ganzen Welt in unser Land geholt hätten, anstatt heute unsere Infrastruktur und Industrie nach China oder den USA zu verscherbeln.

Auch in der zweiten von Binninger aufgeworfenen Frage schimmert ihre Angst vor den Bürgern hindurch. Natürlich weiß sie um die starke Ablehnung vieler Sachsen der bundesdeutschen Migrationspolitik.

Trotz Studium der Politikwissenschaft, Germanistik und Soziologie ist sie journalistisch bisher leider nicht dadurch hervorgetreten, dass sie die politische intendierte Begriffsverwirrung um reguläre Einwanderung von Fachkräften, illegale Migration, Asyl und Flüchtlinge im Sinne der Bürger analysiert oder aufgearbeitet hätte. Auch im journalistischen Sachsen wurden aus Asylbewerbern erst undifferenziert Flüchtlinge, dann Migranten und schließlich politisch korrekt gegenderte „Geflüchtete“.

Ungeschrieben vermutet Binninger wohl zurecht, dass Bürgerentscheide nicht nur einmal, sondern vielfach gegen weitere Flüchtlings-Container ausgehen dürften – und das wohl auch nicht nur in Sachsen, sondern an vielen deutschen Standorten. Längst hat sich bei vielen Bürgern herumgesprochen, dass der gesetzlich induzierte Missbrauch des Rechts auf Asyl weder für den Zustrom der benötigten Fachkräfte gesorgt hat, noch die zukünftigen Renten finanziert, sondern stattdessen zu einer massiven Einwanderung in die Sozialsysteme, Bildungsnotstand, ethnischen und religiösen Auseinandersetzungen, einer Zunahme von Straftaten und vor allem zur Gefährdung von Mädchen und Frauen geführt hat. Für wen also wäre eine öffentliche Beschäftigung mit diesem Themenfeld problematisch? Für die Bürger vor Ort oder nicht vielmehr für Politiker in Dresden, Berlin oder andernorts?

Es drängt sich die Frage auf, wie sich unsere Gesellschaft generell ändern würde, wenn Bürger an ihrem Lebensmittelpunkt ihr Schicksal selbst in die Hände nehmen würden. Zum Vergleich: In der eidgenössischen Schweiz finden allein auf Bundesebene jedes Jahr etwa ein Dutzend Volksabstimmungen statt, dazu kommen Entscheidungen auf kantonaler Ebene. Eine Journalistin des SRF berichtete mir vor einigen Jahren stolz, dass Schweizer Kinder diese Tradition schon ab der Grundschulzeit als integralen Bestandteil des schweizerischen Selbstverständnisses kennenlernten, ähnlich wie die schweizerische Neutralität und Unabhängigkeit.

Zwar ist Deutschland nicht die Schweiz, zwar schränken sowohl das Grundgesetz und die Landes-Verfassungen eine umfassende Bürgerbeteiligung nach schweizerischem Vorbild weitreichend ein, aber es gibt viele gute Gründe für Bürger und Politiker genau diese nicht nur anzubieten, sondern positiv einzufordern. Ich bin sicher, dass Bürger davor weniger Sorge haben als die Ressortleiterin Politik der sächsischen Zeitung!

Frauke Petry, 5.5.2023

https://www.saechsische.de/sachsen/politik-sachsen/politik-in-sachsen-die-morgenlage-5854598.html

Was wäre, wenn?
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4 Kommentare zu „Was wäre, wenn?

  • 5. Mai 2023 um 22:47 Uhr
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    Ich stimme Ihnen zu, dass wir die Demokratiefrustration nur durch unmittelbarere Einflussnahme z.B. durch Bürgerentscheide bekämpfen können. Wenn meine Stimme endlich wieder zählt…und spürbaren Einfluss auf politische Entscheidungen hat.

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  • 9. August 2023 um 08:41 Uhr
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    Ich stimme bedingt zu. Es ist etwas anderes, ob Bürgerentscheide in einem Land wie der Schweiz, mit ca. 8.500.00 Mio. Einwohnern, durchgeführt werden oder in einem Land mit 60.000.000 Mio. Einwohnern.
    Ich vertrete die Ansicht, dass eine Regionalisierung vieler Themen schon ein Fortschritt wäre. Dies betrifft auch Themen der EU.
    Einen schönen Gruß aus BW.
    Dr. Dr. N. Roisch

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  • 15. Januar 2024 um 21:10 Uhr
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    Die wesentliche Grundlage für mehr Bürgerbeteiligung ist nicht gegeben – die Abstimmenden müssten in die Lage versetzt werden, sich ihre eigene Meinung zu bilden. Dazu müsste es tatsächlich eine 4. Gewalt geben – Journalisten, die Politik kritisch zu hinterfragen bereit sind. Politische Diskussionen in der Sache müssten stattfinden, so dass der Bürger sich breit informieren kann. Wie viele Menschen in Deutschland sind nicht digital vernetzt, können freie Medien gar nicht konsumieren, für diese Menschen ist alternativlos, was im ÖRR gesagt, was in der lokalen Presse steht.

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  • 26. Januar 2024 um 12:09 Uhr
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    Ich stimme Ihnen zu, dass direkte Volksentscheide unsere Demokratie stärken würden. Genauso hilfreich wäre eine Änderung des Wahlrechts dahingehend, dass Listenplätze abgeschafft werden zugunsten von ausschließlichen Direktmandaten. Man sollte die Wahlkreise verkleinern, auf 598 verdoppeln und danach nur Direktmandate wählen.

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